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Antwort auf eine Leserfrage zum Thema Schulfrei

Die liebe Anne hat mir per Mail einige Fragen gestellt und nachdem meine Antwort doch recht ausführlich ausfiel. dachte ich mir, das sei vielleicht für viele von unseren Lesern interessant...

Liebe Kathi,

 

Vielleicht erinnerst du dich noch an mich, ich lese schon länger immer mal wieder in deinem Blog. Es ist wirklich interessant was ihr plant. Kindergarten frei kann ich mir gut vorstellen. Aber ich würde dich gerne was zum Thema schulfrei fragen...Wie funktioniert das? Also die ersten Jahre wenn es ums lesen und schreiben lernen geht sind sicher gut zu machen, aber später? Was ist wenn es um Fremdsprachen geht die ihr als Eltern nicht könnt? Engagiert ihr dann jemand? Oder lernt erst selbst alles? Und können eure Kinder einen Abschluss machen? Sie sollten ja auch irgendwann einen Beruf lernen? Für mich ist das alles sehr spannend, ich kann es mir als Mutter eines Gymnasiasten in der 7. Klasse nicht vorstellen...wenn ich denke ich müsste ihm alles beibringen - das könnte ich gar nicht. Das ist jetzt nicht als Kritik gemeint, sondern wirklich Interesse meinerseits.

 

 

Ich hoffe es geht euch gut und wünsche euch eine schöne Woche!

 

LG Anne

Meine Antwort:

Hallo liebe Anne,

also erstmal gibt es beim schulfrei leben ja einen Unterschied zwischen Homeschooling und Freilernen, wobei der Begriff FreiLERNEN da auch etwas falsch ist im Deutschen, im Englischen heißt es Unschooling und viele deutsche Freilerner haben den Begriff "frei-sich-bilden" lieber...

 

Ich bin da auch ganz langsam "reingerutscht", über Thema Hausgeburt, bedürfnisorientiert zu Kindergartenfrei...damals dachte ich noch, ohne Schule geht nix, Kinder brauchen Schule, werden ja sonst blöd bleiben für immer...dann freundete ich mich langsam mit dem Gedanken des Homeschoolings an, hielt aber vom Freilernen noch nicht so viel...habe aber, weil ich auch neugierig war, viel dazu gelesen, vor allem auch viele Blogs von freilernen , viele Interviews angeschaut und auch die Vorträge von Andre Stern in youtube, den kann ich sehr empfehlen, denn er erklärt alles so toll.

 


Und was soll ich sagen, seit ca. einem Jahr bin ich überzeugte Freilernerin und weiß, das ist unser Weg. Kinder brauchen keine Schule, sie brauchen keine Lehrer, wir müssen sie nicht unterrichten und ihnen nichts beibringen. Kinder lernen von selbst sich zu drehen, sie lernen krabbeln, sie lernen laufen, sprechen und und und...weil sie es wollen, weil sie sich dafür begeistern. Und genau aus dieser Begeisterung heraus werden sie auch alles andere lernen, was sie wissen möchten. Sie bilden sich selbst - deshalb auch der Begriff "frei-sich-bilden" - wir Eltern sehen uns dabei nicht als Lehrer, nur als Begleiter. Wenn sie eine Frage haben, gehen wir der gemeinsam auf den Grund und das ist in der heutigen Zeit der Medien wirklich nicht schwer. Das können alle Eltern, egal was sie gelernt oder studiert haben. Die Erfahrung zeigt aber ohnehin dass es eher nicht die Familien sind, die sozialschwach und "ungebildet" sind, die sich für diesen Weg entscheiden.

 

Chris hat Abitur, eine Ausbildung zum Chemielaboranten und in den letzten 3 Jahren eine Weiterbildung zum Chemietechniker gemacht, was einem Studium gleichkommt. Er hat täglich Kontakt zu englischsprachigen Kunden und ist meiner Meinung nach sehr gebildet bzw. weiß sehr gut, wie er an neues Wissen heran kommt und es sich aneignet.

Ich habe "nur" mittlere Reife, allerdings mit 1 abgeschlossen, eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau, ebenfalls mit 1 abgeschlossen, eine Ausbildung zur Betreuung für Demenzkranke, und eine Ausbildung zur Keramikerin (nur leider ohne Gesellenprüfung)...ich fühle mich also eigentlich schon auch einigermaßen gebildet, war viele viele Jahre in verschiedenen Schulen, habe manche Dinge doppelt und dreifach gelernt :-) aber für das Freilernen ist es wie gesagt nicht mehr von Bedeutung.

 

Und was dabei auch eine große Rolle spielt ... Was von alledem, das du in der Schule gelernt hast - weißt du noch? Ist es wirklich alles so wichtig? Wir Freilerner finden das nicht. Klar, Lesen, schreiben, rechnen, ein bisschen Grundwissen - das sollten wir schon alle irgendwann mal können, aber x-Gleichungen?Wurzelziehen?Integrale? Dafür gibt es heute Taschenrechner...Und ein Kind, das nicht unbedingt Chemielaborant werden möchte muss auch nicht das Periodensystem auswendig können, nur mal als Beispiel. Jeder Mensch spezialisiert sich irgendwann auf etwas, das ihm besonders liegt und was er beruflich macht, vieles von dem Rest, den man lernt, vergisst man einfach. Bulemielernen nennt mein Mann das, was er auch die letzten drei Jahre teilweise gemacht hat - Man stopft es schnell in sich herein, erbricht sich dann in der Prüfung über seinem Blatt Papier und ist es dann auch wieder los...Das halten wir nicht für Sinnvoll.

 

Als Freilerner sollte man sich als Eltern aber auch für etwas Neues begeistern können, das einen vorher nicht so sehr interessiert hat -  wenn also meine Kinder irgendwann mit Astronomie daher kommen, dann werde ich etwas mit Ihnen über die Sterne erfahren und mit Ihnen in eine Sternwarte fahren, uns ein Teleskop besorgen, einen Spezialisten aufsuchen etc...Und wenn sie sich für die Müllabfuhr interessieren, so werde ich dort einen Termin ausmachen zur Besichtigung...

 

Freilerner-Kinder sind alle recht sozial, recht vernünftig, wollen sich weiterbilden und wollen Schulabschlüsse machen. Diese können sie dann extern machen, sie bereiten sich selbst darauf vor, holen sich Unterstützung wenn sie diese benötigen und ich hab schon oft gehört, dass welche innerhalb von einem halben Jahr sich auf ein super Abitur vorbereitet haben. Manche entscheiden sich auch später, auf Schulen zu gehen, dann ist das natürlich auch okay und in den Ländern, wo es legal ist garkein Problem. In Ländern wie z.B. Kanada reissen sich die Colleges um genau diese Kinder, weil sie dieses "frei-sich-bilden" mit Begeisterung und Selbstantrieb nicht verlernt haben wie die Kinder, die in die Schule gehen. Ein Kind, das schonmal in einer Schule war, und sei es nur 1. Klasse Grundschule, wieder zu de-schoolen ist nämlich garnicht so einfach und ich lese oft, dass es einige Monate dauert, bis die Kinder wieder aus eigenen Antrieb heraus etwas lernen wollen.

 

Deutschland ist nur leider eines der wenigen Ländern, in denen das nicht erlaubt ist. Es gab früher vor Hitler ein Schulrecht, das dafür eingeführt wurde, dass die Kinder nicht zum Arbeiten auf dem Feld etc eingesetzt werden, sondern dass sie alle das Recht auf Bildung haben. Erst Hitler machte daraus 1938 eine Schulpflicht mit Anwesenheitspflicht in einer schulischen Einrichtung, und bis heut hat leider niemand dieses total unsinnige Gesetz geändert, leider. Deshalb wandern viele Freilerner aus, es gibt allerdings auch einige , die es in D durchziehen, ca 1000 Freilernerkinder soll es angeblich bei uns geben. Es gibt die Schulfrei-Bewegung, ein Verein der sich dafür einsetzt und einem auch rechtliche Unterstützung und Tipps gibt, wie man es auch in D schaffen kann. Ist uns allerdings immer noch zu unsicher und wir wollen den ganzen Stress und kampf mit den Behörden nicht.

 

Was uns oft vorgeschlagen wird "warum nicht eine Montessorischule?" - eine Schule ist eine schule...und so frei diese auch ihren Unterricht gestaltet, am Ende des Jahres muss man auch hier ein gewisses Pensum erfüllen, nämlich den Lehrplan und eine Art von Kontrolle, Prüfungen etc. - sicherlich eine tolle Alternative zur normalen Schule, wie auch all die privaten und freien Schulen, die es so gibt - aber keine Alternativbe zum "Frei-sich-Bilden" - jedenfalls nicht für uns.

 

Deshalb werden wir das Land verlassen, bevor Emma eingeschult wird. Wohin, das wissen wir noch nicht. Mein Mann möchte aufgrund seiner Arbeit nur in ein englischsprachiges Land gehen, England, Irland, Australien und Kanada wären da in der Auswahl, denn dort ist Unschooling legal. Unser Notfallplan wäre Österreich, hierfür könnte mein Mann seinen Job sogar behalten, was uns beiden am Liebsten wäre, wir müssten nur rüber über die Grenze ziehen, wir wohnen schon ganz in der Nähe, auch wirtschaftlich, von den Sozialleistungen her, vom Wohnstandard her und auch wegen unserer Freunde und einigen Familienmitgliedern wäre das natürlich einerseits optimal... Allerdings hat Österreich eine sogenannte Bildungspflicht, man kann die Kinder zwar zum "häuslichen Unterricht" abmelden, muss aber jedes Jahr an einer Externistenprüfung teilnehmen, sogar schon ab der 1. Klasse - darüber informiere ich mich noch eingehend, habe aber schon gehört, dass man wohl nicht oder nicht bei jedem Direktor wiederholen darf, falls man einmal durchfällt, dann muss das Kind das Jahr in der Schule wiederholen. In dem Fall würden wir dann direkt nochmal auswandern, deshalb wollen wir uns den Umweg über Österreich gern sparen. Homeschooling möchten wir nicht praktizieren, aber die Externistenprüfungen zwingen einen eigentlich ja dazu. Diesen Druck und Kontrolle von außen möchten wir einfach nicht. Es gibt wohl auch Freielrner in Österreich, die diese Prüfungen einfach direkt verweigern, ich habe gehört, dass man in dem Fall "nur" hohe Geldstrafen entrichten muss, mein Mann meinte 2000-3000€ im Jahr wäre es ihm locker wert, um nicht in ein anderes Land gehen zu müssen, in dem wir fianziell vielleicht schlechter gestellt sind...Also werde ich mich auch in diese Richtung informieren und welche Auswirkungen das auf uns und unsere Kinder haben könnte. Natürlich wollen wir auch das Beste für unsere Kinder, nur eben alles freiwillig. Ohne Druck von außen, ohne Zwang, ohne Fremdbetreuung und ohne, dass jemand an unseren Kindern herumerzieht...

 

Hier noch ein Link zu Andre Stern: Ich dachte anfangs "wasn das für ein verrückter Guru" find ihn nun aber ganz toll:

https://www.youtube.com/watch?v=I5_x35E38bI&t=1022s

 

Ich verstehe auch, dass das "Konzept" nicht zu jedem passt. Man gibt die Verantwortung für die Bildung der Kinder nicht an Fremde ab, man behält sie selbst bzw. gibt sie auch ein Stück weit an die Kinder ab. Es hat viel mit Vertrauen zu tun, Vertrauen darauf das alles gut sein wird - und das vergleiche ich so ein bisschen mit dem Vertrauen in eine Geburt...

 

Ich hoffe, ich konnte dir deine Fragen gut beantworten, alles Liebe - Kathi

Anne hat sich dazu bereit erklärt, ihre Frage zu veröffentlichen :-) Gern dürft ihr mir auch Fragen zu dem Thema stellen, ich beantworte sie so gut ich kann!

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Kommentare: 2
  • #1

    Susi (Dienstag, 25 September 2018 13:49)

    Hallo,

    sehr interessant. Was ich nur nicht verstehe: Klar vergißt man vieles was man lernt und man macht Beruflich was einen Interessiert. Aber dadurch das es in der Schule so viele Fächer und damit Themen gibt, bekommt man doch auch als Kind einen Überblick, was es den alles gibt. Wenn man das garnicht weiß (und vieles ist zb. nicht direkt offensichtlich), wie will man den mitbekommen, was dem Kind für Interessen und Neigungen liegen?

  • #2

    Kathi vom Bauchzwerg-Blog (Donnerstag, 27 September 2018 14:33)

    Hallo liebe Susi, ich hatte schon begonnen, dir hier zu antworten - doch die zeichen reichten einfach nicht aus - und so wurde aus deiner Frage und meiner Antwort ein neuer Blogbeitrag - ich danke dir dafür und hier kannst du ihn lesen : https://www.meinbauchzwerg.de/2018/09/27/antwort-auf-eine-leserfrage-wie-bekommt-das-kind-beim-freilernen-einen-%C3%BCberblick-dar%C3%BCber-was-es-alles-lernen-kann-wenn-es-die-schulf%C3%A4cher-nicht-kennt/